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Arbeitslosigkeit, Bürgergeld – und wie es sich damit leben lässt

09.07.23 –

Am Montag, den 26.06.2023 fand im Gemeindehaus der Eberhardskirchengemeinde in Tübingen auf Einladung des Grünen Kreisverbandes eine Veranstaltung zu Arbeitslosigkeit und Bürgergeld statt.

Zunächst berichtete Fabian Everding, Sozialberater des Tübinger Arbeitslosentreffs, von den Neuregelungen des seit Jahreswechsel neuen Bürgergeldes. Es ist zunächst vor allem ein neuer Name für die bisherigen Hartz-IV- oder Grundsicherungsleistungen. Mit diesem neuen Namen gehen aber auch eine Reihe neuer Bestimmungen einher, die nach offizieller Lesart die Praxis der Jobcenter und damit auch das Leben der Arbeitslosen verändern sollen. Allen voran ist die Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II (Sozialgesetzbuch, zweiter Band: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende) deutlich angehoben worden: Für Alleinstehende stieg der Regelsatz um 53 Euro von 449 Euro auf 502 Euro. Allerdings wurde diese Erhöhung beschlossen, bevor die Inflation 2021 sprunghaft angestiegen ist und damit die höheren Leistungen von der Preissteigerung  (über 20% im Lebensmittelbereich) schon wieder aufgefressen wurden. Aber auch bei den aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen gibt es Veränderungen. So soll aus der bisherigen Eingliederungsvereinbarung eine Kooperationsvereinbarung werden, bei der die  Arbeitslosen stärker als  bisher mitbestimmen können, welche Maßnahmen für sie sinnvoll und notwendig sind. Auch soll der Vermittlungsvorrang, die Pflicht jede zumutbare Arbeit anzunehmen, relativiert und vorrangig geprüft werden, ob nicht eine Qualifizierung oder gar Ausbildung die bessere und längerfristige Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bietet. – Diese und weitere Neuregelungen haben, - so die Einschätzung von Fabian Everding -, allerdings nicht dazu geführt, dass sich das Leben der Arbeitslosen spürbar verbessert hätte. Dies mag auch daran liegen, dass die Jobcenter selber große Personalprobleme haben, dass Teile der neuen Regelungen erst zum 1.7. in Kraft getreten sind und dass die Haushaltsmittel der Jobcenter gerade für die aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen überaus angespannt sind.

In einem zweiten Beitrag berichtete Martin Tertelmann von der Neuen Arbeit Stuttgart gGmbH über deren Beschäftigungs- und Teilhabeprojekte. Als soziales Beschäftigungsunternehmen führt die Neue Arbeit ein breites Spektrum von Maßnahmen durch, in denen insbesondere Langzeitarbeitslose wieder Arbeit finden. Dazu gehören Arbeitsgelegenheiten zur Parkreinigung, Fahrradstationen mit Ausbildungsstellen, Sozialkaufhäuser und Tafelläden. Grundlage für diese Beschäftigungen und Ausbildungen sind die Arbeitsfördermaßnahmen der Arbeitsämter und Jobcenterund sie reichen von kurzfristigen Arbeitsgelegenheiten mit nur wenigen Wochenstunden bis hin zu mehrjährig geförderten Vollzeitstellen. Diese Maßnahmen werden zwar oft kritisiert, weil sie gegenüber tariflich abgesicherten und unbefristeten Stellen schlechtere Bedingungen haben, aber – und das hat Martin Tertelmann hervorgehoben – sie leisten einen wesentlichen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen: Die Recyclingprojekte wirken ökologisch im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. Die Sozialkaufhäuser tragen zur Bedarfsdeckung armer Familien bei, unterstützen den sozialen Ausgleich und die Armutsbekämpfung. Die Ausbildungsstellen in den verschiedenen Berufsfeldern tragen zur Bildung von bisher geringqualifizierten Menschen bei. Besonders stolz ist er auf das Projekt der Demokratiebegleiter, in dem Langzeitarbeitslose u.a. zusammen mit Wissenschaftlern Umfragen und Veröffentlichungen zur Lebenssituation und zum Wahlverhalten durchführen, Bildungs- und Öffentlichkeitsveranstaltungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren und damit den antidemokratischen Tendenzen in der Gesellschaft entgegenwirken. Dazu gehört auch, das vor kurzem eine Zukunftswerkstatt mit Langzeitarbeitslosen, Beschäftigungsträgern und Jobcentermitarbeiter*innen durchgeführt wurde, um zukünftige Arbeitsgelegenheiten stärker auf die Bedürfnisse der Betroffenen und die gesellschaftlichen Bedarfe abzustimmen.

In der anschließenden Diskussionsrunde wurde vor allem darüber nachgedacht, wie sich die Erfahrungen der Beschäftigungsprojekte auf Tübingen übertragen lassen, ob sich ehrenamtliches Engagement in der Stadt mit Arbeitsgelegenheiten und Beschäftigungsmaßnahmen verbinden lassen und ob ein Evaluationsworkshop für Arbeitsgelegenheit auch in Tübingen möglich ist.

 

 

Arbeitslosigkeit in Tübingen

Tübingen steht für eine Vorreiterrolle bei Klimaschutz und Transformation ... Aber es gibt auch eine andere Seite, auch in Tübingen gibt es Arbeitslose und Menschen, die von der Grundsicherung leben müssen. Im Mai 2023 wurden für den Landkreis Tübingen 3.907 Arbeitslose gemeldet, davon waren 1.548 dem SGB III, also der Arbeitslosenversicherung zugeordnet und 2.359 waren im Rechtskreis des SGB II gemeldet, damit also Empfänger*innen von Bürgergeld, wie die Grundsicherung seit Anfang des Jahres heißt. Da nicht alle Grundsicherungsempfänger*innen auch als Arbeitslose gezählt werden, liegen deren Zahlen insgesamt sehr viel höher: Im Februar 2023 (letzter Berichtsmonat) waren 8.424Personen in 4.086 Bedarfsgemeinschaften (Haushalten) im Landkreis Tübingen Empfänger*innen von Bürgergeld bzw. Grundsicherungsleistungen. Das macht eine Grundsicherungsquote von 4,3% aus und bedeutet gegenüber dem Vorjahresmonat eine Steigerung von ca. 20%.

Übrigens: Einerseits gehen von den Grundsicherungsempfänger*innen über 1.000 Personen einer Erwerbstätigkeit nach, nur reicht ihr Erwerbseinkommen nicht aus, um den Bedarf zum Lebensunterhalt zu decken. Andererseits sind über 30% der Leistungsberechtigten vier Jahre und länger im Leistungsbezug, und mit zunehmender Leistungsdauer sinken die Chancen auf eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt.

 

Klaus Kittler

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