12.02.2021
Der Applaus ist nicht genug - Diskussion mit Ricarda Lang

Der Applaus ist nicht genug - Bessere Arbeitsbedingungen für Pflegeberufe mit Ricarda Lang
Im Sommer 2020 unternahm Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen, eine Sommertour unter dem Motto #who cares. Sie verschaffte sich einen Einblick in viele Bereiche des Pflege- und Gesundheitssystems von der großen Uniklinik bis zum ambulanten Pflegedienst im ländlichen Raum. Von den Schwierigkeiten der Arbeitskräfte, strukturellen Problemen und Lösungsansätzen berichtete sie in Tübingen am 11. Februar im Gespräch mit Daniel Lede Abal.
In der ersten Phase der Corona-Pandemie gab es vielfach den Appell, dass Pflegeberufe eine größere Wertschätzung erfahren müssten. Symbolisch gab es öffentlichen Applaus. Das änderte jedoch bis heute nichts daran, dass das Personal in der Kranken- und Altenpflege unter Personalmangel und Überlastung leidet. Ricarda Lang beantwortet die Frage nach einer besseren Grundversorgung und besseren Arbeitsbedingungen mit fünf Forderungen:
- Bessere Bezahlung für Pflegekräfte nach Tarifvertrag,
- Zusammenarbeit der Pflegeversicherung nur mit Arbeitsgebern, die Tariflöhne zahlen,
- eine 35-Stunden-Woche, um den Beruf attraktiver zu machen, und für eine längere Verweildauer der Arbeitskräfte,
- Fallpauschalen reformieren und eine Vergütung nach tatsächlichem Aufwand sicherstellen,
- die "Arztzentriertheit" des deutschen Gesundheitswesens reduzieren, um Pflegenden mehr Kompetenzen zu geben.
Die Finanzierung erfordere nach Ricarda Lang eine kluge Umverteilung der vorhandenen Mittel (beispielsweise durch eine Vermeidung von Überversorgung) sowie eine echt solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens durch eine Bürgerversicherung.
In der Diskussion sprach sie sich zudem dafür aus, dass arbeitsrechtliche Grundlagen verstärkt kontrolliert werden müssten. Insbesondere in der häuslichen Altenpflege wird vielfach gegen Regeln des Arbeitnehmerschutzes verstoßen, werden Arbeitszeiten nicht oder nur ungenügend erfasst und somit auch der Mindestlohn nicht gezahlt. Hier müsse auch die gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigten gestärkt werden.
Im Ausbildungsbereich müsse überdies dafür Sorge getragen werden, dass Auszubildende nicht anstelle fehlender Arbeitskräfte eingesetzt werden und auch die Ausbildenden genügend Zeit dafür haben, Inhalte und Kompetenzen zu vermitteln.
Ein wichtiger Faktor im Gesundheitssystem ist natürlich auch die Digitalisierung. Das baden-württembergische Sozialministerium hat im vergangenen Herbst das "Landeskompetenzzentrum für Pflege und Digitalisierung" in Tübingen eingerichtet. Ricarda Lang sieht die Chancen der Digitalisierung vor allem darin, das Pflegepersonal von einfachen Tätigkeiten zu entlasten und Verwaltungs- und Dokumentationstätigkeiten zu erleichtern. Das würde es den Pflegekräften erlauben, wieder mehr Zeit für die Patienten zu haben, und letztlich zu einem menschlicheren Gesundheitswesen beitragen, sowohl für die Beschäftigten wie auch die Pflegebedürftigen.
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