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Autor Johannes Kram zu Gast in Tübingen

Unsere Welt ist nicht frei von Homophobie. Auch Homosexuelle haben die Abwertungsmuster der Gesellschaft verinnerlicht. Die neue Homophobie, so Krams These, sei nicht länger an Stammtischen zu finden, sondern reiche bis in links-intellektuelle Milieus wie das der Grünen hinein. Das neue an dieser Homophobie sei, dass sie auf ihrer Homosexuellenfreundlichkeit beharre, aber dieselben Abwertungsmechanismen aufweise wie die alte Homophobie.

Krams Buch ist 2018 aus dem gleichnamigen Blog entstanden, den Johannes Kram seit 2009 betreibt. Im Buch beleuchtet Johannes Kram die Debatten in der deutschen Gesellschaft, etwa als es um die Ehe für alle ging. Die gleichgeschlechtliche Ehe sei in Deutschland kein großes Ereignis gewesen , ganz im Gegensatz zu Ländern wie der USA, wo die Eheöffnung als Sieg für das ganze Land gefeiert wurde. Auch die Heterosexuellen seien in den USA der Überzeugung gewesen, dass sie nun in einem freieren Land leben, dass Freiheit etwas ist, dass für alle größer werde, wenn sie für alle gelte.

Die größten Verfechter der Ehe für alle in den USA waren laut Kram Heterosexuelle. Stars wie Brad Pitt und Angelina Jolie kündigten öffentlich an erst dann zu heiraten, wenn dies auch für Lesben und Schwule möglich sei. In Deutschland konnte man keine solchen Bekundungen erleben. Nicht einmal die politische Linke machte die Eheöffnung in Deutschland zu ihrem Thema. Sarah Wagenknecht (Die Linke) äußerte auf Nachfrage, dass dies nicht ihr Thema sei. Die SPD habe den Versuch der Eheöffnung relativ schnell mit dem Verweis auf ihren Koalitionspartner CDU/CSU aufgegeben und Sigmar Gabriel schrieb noch Ende 2017, dass sich die SPD in postmodernen liberalen Debatten verliere. Und auch der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer schrieb 2015 in einem Beitrag für die FAZ, dass man noch lange nicht homophob sei, wenn man die gleichgeschlechtliche Ehe ablehne.

Dass die Ehe für alle in Deutschland als westlich geprägtem Land so spät kam führt Kram auch auf die lange Verfolgungsgeschichte in Deutschland zurück. Noch bis Ende der 60er Jahre galt in Deutschland der von den Nationalsozialisten verschärfte Paragraf 175 im Strafrecht, während die Strafbarkeit in anderen westlichen Ländern früh abgeschafft wurde. Der Paragraf 175 wurde erst 1994 endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Noch im letzten Jahr seiner Gültigkeit wurde 34 schwule Männer für eine Tat verurteilt, die für Heterosexuelle nicht strafbar war. Auch mit den Aufhebungen der 175er-Urteile tat sich Deutschland schwer. Dabei wurden ganze Existenzen zerstört. Auch in Tübingen gab mit Helmut Kress ein Opfer des 175ers, der wegen eines Liebesbriefes vom damaligen Oberbürgermeister Hans Gmelin angezeigt worden sei, wie ein Teilnehmer aus dem Publikum anmerkte.

Wie nervig viele Leute die Themen Ehe für alle und Homosexualität empfinden zeige sich für Krams auch am Fall Volker Beck. Als ehemaliger menschenrechtspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion hat Beck die Gleichstellung Homosexueller in Deutschland wesentlich vorangebracht, bis er 2016 mit 0,6 Gramm Drogen erwischt wurde und daraufhin von Partei und schwul-lesbischer Community fallen gelassen worden sei. Nur die jüdische Gemeinschaft habe sich für ihn eingesetzt.

Volker Beck war es, der den Stein für die Ehe für alle ins Rollen brachte als er auf dem grünen Parteitag im Sommer 2017 dafür warb die Ehe für alle zur Koalitionsbedingung zu machen. Der Zeit-Journalist Matthias Lohre schrieb damals in einem Beitrag über Volker Beck: „Die Grünen wollten auf ihrem Parteitag Einigkeit demonstrieren .. und ein Mann machte fast alles zunichte.“ Johannes Kram kritisiert, Beck sei behandelt worden wie „ein wildes Kind“, das sich nicht benehmen könne. Doch kurz daraufhin machte auch die FDP die Ehe für alle zur Koalitionsbedingung und Angela Merkel kündigte eine offene Abstimmung nach der Bundestagwahl 2017 an. Der damalige SPD-Kandidat Martin Schulz sorgte aber dafür, dass die SPD das Gesetz im Ausschuss nicht mehr blockierte. So beschloss der Deutsche Bundestag noch kurz vor der letzten Sitzung im Sommer 2017 die Ehe für alle. Die Eheöffnung ist für Johannes Kram ein historischer Moment, doch sie sei nicht das Ziel schwuler Emanzipation, sondern eine ihrer Voraussetzungen.

(Bericht Simon Baur)

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